Autobahn im Kopf

Eine Einführung in den Begriff der Mentalen Infrastrukturen des Wachstums

Kurzbeschreibung

Einstieg mit Reflexionsarbeit zu „Glaubenssätzen“ anhand eines Gemäldes. Dann kurzer Input mit anschaulichen Bildern zum Begriff „Mentale Infrastrukturen“ in Abgrenzung zu anderen Formen von Infrastrukturen. Abschließend: Austausch, um Begriff weiter mit Beispielen zu füllen.

Arbeitsmaterial zum Herunterladen

+Fragen zu Glaubenssätze für American Progress

+Vortragsskript Mentale Infrastrukturen

Lernziele

Teilnehmende…

  • erkennen, dass Wirtschaftswachstum, sozial-ökologische Krisen und Transformation stark verbunden sind mit kulturellen Praktiken, grundsätzlichen Vorstellungen von der Welt und Machtverhältnissen.

  • haben ein Verständnis von „Mentalen Infrastrukturen“ und „Mentalen Infrastrukturen des Wachstums“.

  • erkennen die Postwachstumsdebatte als ein weites und komplexes Thema, mit dem viele Aspekte und Fragen verbunden sind.

  • erkennen, dass globale Gerechtigkeit verbunden ist mit den Kulturen und sozial-psychologischen Dispositionen der Gesellschaften im Globalen Norden.

  • lernen Ansätze für politische Maßnahmen kennen, um Postwachstumsdebatte zu stärken.

Ablauf

Hintergrund

Der Begriff „Mentale Infrastrukturen“ wurde von dem Sozialpsychologen Harald Welzer geprägt und in die Postwachstumsdebatte eingebracht, um die Rollen von Denkmustern, Glaubenssätzen, nicht-hinterfragte Alltagspraktiken und kulturelle Prägungen für gesellschaftliche Veränderungen zu beleuchten.

Im Wesentlichen geht es um unsere ganz grundsätzlichen Vorstellungen der Welt, die unser Denken und Handeln strukturieren. Sie stehen in einem engen Wechselverhältnis mit den Institutionen (institutionelle Infrastrukturen) unserer Gesellschaft aber auch den physischen Infrastrukturen (materielle Infrastrukturen) sowie der Gestaltung der Natur durch den Menschen. Siehe „Vortragsskript zu ‚Mentalen Infrastrukturen‘“.

Andere Autor*innen benutzen andere Begriffe, die ähnliches meinen: Sie sprechen von Monokulturen, Paradigmen, Bedeutungsperspektiven, Mythen, Weltsichten, Mindsets, Imaginationen oder Wurzeln des Seins.

Vor diesem Hintergrund wählen wir in dieser Übung bewusst den Einstieg über Glaubenssätze, um das Thema greifbarer für TN zu machen.

Content Note: Das Gemälde „American Progress“ zeigt koloniale Gewalt gegen indigene Personen. Im Votragsskript werden Verbindungen zwischen mentalen Infrastrukturen und Formen struktureller Diskriminierung hergestellt.

Vorbereitung

Die anleitende Person bereitet sich auf den kurzen Input zur Begriffsklärung vor. Für den Vortrag kann das Vortragsskript (siehe Material zum Download) nach Belieben genutzt werden. Als Hintergrund bietet sich der oben genannte Artikel von Welzer an (online verfügbar). Zentral für die Methode sind die Unterscheidung zwischen materiellen, institutionellen und mentalen Infrastrukturen sowie die Metapher der Autobahn zur Veranschaulichung der ambivalenten Funktion von Infrastrukturen im Allgemeinen. Darüber hinaus kann das Skript aber angepasst oder ein eigener Vortrag entwickelt werden. Für den Vortrag wird außerdem eine Visualisierung vorbereitet. Sie besteht aus vier einfachen Skizzen (siehe Material zum Download), die an den entsprechenden Stellen im Vortrag eingesetzt werden. Diese Skizzen können per Beamer gezeigt werden. Sie können aber auch anhand der Vorlage im Vorfeld auf Flipchart gezeichnet werden oder sogar direkt im Verlauf des Inputs entstehen.

Schließlich sollte die anleitende Person sowohl die vorgeschlagene Definition für „Glaubenssätze“ als auch das Gemälde „American Progress“ zu Visualisierung vorbereitet haben. Die Fragen zur Reflexion des Gemäldes in den Kleingruppen sind ausgedruckt oder ebenfalls zur Visualisierung bereit. Um das Selbstverständnis am Ende des 19. Jahrhunderts in den USA zu verstehen, bietet es sich schließlich an, sich kurz mit der Ideologie des sog. „Manifest Destiny“ (offenkundige Bestimmung) zu beschäftigen: https://de.wikipedia.org/wiki/Manifest_Destiny, die das Gemälde bildlich verkörpert. Darüber hinaus möchten wir darauf hinweisen, wie Naturbeherrschung und die koloniale Vertreibung indigener Personen im Gemälde dargestellt werden.

Durchführung

1. (5 Minuten) Glaubenssätze anhand des Gemäldes „American Progress“
Zunächst visualisiert die anleitende Person die Definition für „Glaubenssätze“ und liest sie kurz vor:

  • Glaubenssätze sind Überzeugungen, deren Befolgung das eigene Leben erleichtern soll. Sie sind eine Art Faustregel, die einem ein schnelleres Entscheiden ermöglicht. Wir bilden sie aufgrund eigener oder übernommener Erfahrungen. Oft erfüllen sie ihr Ziel nach einer bestimmten Zeit nicht mehr, wenn sich die äußeren oder, häufiger, die inneren Umstände ändern.

Rückfragen können kurz geklärt werden. Jedoch kann die anleitende Person auch klarmachen, dass die folgende Übung dazu dient Glaubenssätze besser zu verstehen.

Nun visualisiert die anleitende Person das Gemälde „American Progress“ und teilt einige Hintergrundinformation zum Gemälde mit den TN.

2. (15 Minuten) Kleingruppenarbeit

Die Gruppe wird in Kleingruppen à 3-5 Personen geteilt. Jede Gruppe erhält die Reflexionsfragen zum Gemälde (siehe Material zum Download). Entsprechend des Materials können sie folgende Fragen reflektieren.

  • Welche vermeintlichen Wahrheiten oder Wahrnehmungen der Welt könnt ihr von dem Gemälde ableiten? Versucht einen möglichen Glaubenssatz auszuformulieren, der sich aus dem Gemälde ergibt.

  • Wozu diente dieser Glaubenssatz den Menschen vielleicht am Ende des 19. Jahrhunderts? Welche Bedürfnisse sollte er erfüllen? Welche konnte er vielleicht nicht erfüllen?

  • Was hat euer ausformulierter Glaubenssatz mit aktuellen Krisen und der Art und Weise zu tun, wie wir heute vor allem im Globalen Norden leben und produzieren?

3. (10 Minuten) Plenum

Gruppen, die möchten, lesen ihre ausformulierten Glaubenssätze vor. Die Teilnehmenden stellen exemplarisch Bezüge zu aktuellen Krisen und nicht-nachhaltigen Lebens- und Produktionsweisen vor – im Sinne der dritten Frage.

4. (10 Minuten) Input zu mentalen Infrastrukturen
Die Anleitenden geben mithilfe der Skizzen einen visualisierten Input zur Begriffsklärung.

5. (10 Minuten) Murmelrunde

Die TN tauschen sich mit ihren direkten Nachbar*innen in zweier oder dreier Gruppen aus. Sie können miteinander Verständnisfragen klären oder sich austauschen, welche Reaktionen der Impuls bei ihnen auslöst

6. (15 Minuten) Abschlussdiskussion

Die TN kommen wieder im Plenum zusammen. Bei Bedarf können noch offene Verständnisfragen geklärt werden. Anschließend wird die Skizze mit der Autobahn als Metapher für mentale Infrastrukturen herangezogen, um den Begriff mit Beispielen zu illustrieren. Die Anleitende Person kann mit Hilfe der Fragen die Plenumsdiskussion steuern und immer wieder eine neue Frage ins Plenum einspeisen. Anleitende können beliebig weitere Fragen einbringen (spontan aufkommende oder vorbereitete):

  • Welche mentalen Infrastrukturen prägen unsere Gesellschaft heute?“

  • Welche Autobahnen im Kopf kennt ihr?“

  • Welche Beispiele für mentale Infrastrukturen des Wachstums fallen euch ein?“

  • Welche Wechselwirkungen zwischen mentalen, materiellen und institutionellen Infrastrukturen fallen euch ein“?

  • Inwiefern haben diese Beispiele möglicherweise einen Bezug zu globalen Krisen (Klima, Ausbeutung, Ungerechtigkeiten)?

  • Ist das Konzept für euch einleuchtend oder hilfreich? Welche Stärken und Schwächen hat es?


Die Antworten werden im Plenum gesammelt und können entweder auf das Flipchart mit der Autobahn notiert oder (bei der Beamervariante) auf Moderationskarten geschrieben und aufgehängt werden. Dabei können sehr unterschiedliche, zum Teil auch widersprüchliche Antworten aufkommen. Es ist beim Sammeln daher wichtig, den jeweiligen Bezug zum Wachstumsfokus bzw. zu aktuellen Krisenursachen immer wieder zu erfragen oder gemeinsam zu klären.

Varianten Kurz

Optional kann die Auseinandersetzung mit dem Gemälde „American Progress“ ausgelassen werden. Dadurch verkürzt sich die Dauer der Methode auf 35 Minuten.

Bei Interesse kann die Analogie der Autobahnen im Kopf stärker in den Mittelpunkt gerückt und mit Erkenntnissen der Hirnforschung verbunden werden.

Hier mögliche Varianten des Ablaufs angeben, wenn es welche gibt. Muss es aber nicht geben.

Durchführung digital

Die Methode lässt sich leicht digital durchführen. Sowohl Gemälde als auch die Skizzen der Infrastrukturen können digital visualisiert werden (Bildschirm teilen).

Tipps und Hinweise für Anleitende

Aus unserer Sicht ist es wichtig, deutlich zu machen, dass es bei Infrastrukturen des Wachstums nicht um per se „schlechte“ Denkmuster geht. Viele dieser kulturellen Muster erfüllen einen bestimmten Zweck oder haben für uns sehr positive Seiten, die nicht übersehen werden dürfen.

Die Metapher der Autobahn im Kopf kann mit Erkenntnissen der Hirnforschung verbunden werden. Es kann also spannend sein, sich mit den TN damit zu beschäftigen, was bei automatischen, energiesparenden Handlungsabläufen im Gehirn passiert und inwiefern dies mit dem Bild der Autobahn im Kopf korrespondiert.

Content Note: Das Gemälde „American Progress“ zeigt koloniale Gewalt gegen indigene Personen. Im Votragsskript werden Verbindungen zwischen mentalen Infrastrukturen und Formen struktureller Diskriminierung hergestellt.

Möglichkeiten zur Weiterarbeit

Diese Methode dient dem Einstieg in den Themenkomplex „Mentale Infrastrukturen“. Zur Weiterarbeit eignen sich alle anderen Methoden in diesem Kapitel.