Wem steht die Welt offen?

Ein Privilegientest zu Flucht und Bewegungsfreiheit

In der Methode werden unterschiedliche Beweggründe für grenzübergreifende Mobilität gegenübergestellt. Die TN sammeln persönliche Gründe, „für längere Zeit in einem anderen Land zu leben“ sowie Gründe, „warum Menschen fliehen“. Darauf aufbauend findet eine Auseinandersetzung mit eigenen Privilegien, globaler sozialer Ungleichheit sowie den Themen Flucht und Bewegungsfreiheit statt.

Arbeitsmaterialien zum Download:
+ Hintergrundtext für Anleitende
+ Broschüre „Warum Menschen fliehen“

Hintergrund
In der globalisierten Welt bestehen starke Wechselwirkungen zwischen den Wirtschaftstätigkeiten im Globalen Norden und den Lebensumständen im Globalen Süden. Es besteht global eine hohe soziale Ungleichheit, die mit unterschiedlichen Lebenschancen und Privilegien einhergeht. Dies betrifft in besonderem Maß den Bereich Mobilität. Für viele
Menschen in Deutschland ist es völlig normal, durch die Welt zu reisen und sich auch mal für längere Zeit an einem Ort der Wahl niederzulassen. Menschen aus anderen Weltregionen haben häufig nicht die ökonomischen Mittel, und darüber hinaus nur in wenigen Fällen überhaupt das Recht, ihren Lebensort ins Ausland, z. B. nach Europa zu verlagern. Das betrifft auch einen Großteil der über 60 Millionen Menschen, die derzeit weltweit auf der Flucht sind.
Die Produktions- und Lebensweisen des globalen Nordens tragen teils direkt, teils indirekt zu Flucht und Migration bei, indem z. B. durch ökologische Schäden Lebensräume zerstört oder Armut und Perspektivlosigkeit mitverursacht werden.
Wir erleben also eine Situation, in der eine Minderheit einen Lebensstil führen kann, der aus ökologischen Gründen global nicht verallgemeinerbar ist, während großen Teilen der Weltbevölkerung die Chance verwehrt wird, sich einen sichereren Ort zum Leben auszusuchen.
Menschen begeben sich aus den unterschiedlichsten Gründen auf den Weg in andere Länder. Die Grenzen zwischen Flucht (erzwungene Migration) und freiwilligen Formen der Migration sind dabei fließend. In jedem Fall werden Widersprüche der Globalisierung offensichtlich: Waren, Rohstoffe und Finanzströme sowie Geschäftsleute und Touristen reisen ungehindert durch die Welt, doch für Menschen in Not werden die Grenzen immer unpassierbarer. Die Märkte sind bereits globalisiert, das Recht auf Schutz und ein gutes Leben dagegen an den jeweiligen Pass gebunden.
Die Methode setzt an diesen Widersprüchlichkeiten an und dient so als Einstieg zur Auseinandersetzung mit Privilegien und „imperialen Lebensweisen“ sowie mit globaler Gerechtigkeit. Es geht dabei nicht darum, die Diskussion über Flucht und Migration auf ökonomische Fluchtursachen zu verengen.
Es soll nicht der Eindruck entstehen, alle Fluchtbewegungen seien auf unseren Lebensstil zurückzuführen. Aber der Blick wird auf diesen häufig abgewerteten Fluchtgrund gelenkt und die Frage aufgeworfen, ob Armut und Perspektivlosigkeit vor dem Hintergrund globaler sozialer Ungleichheit nicht nachvollziehbare und legitime Motivationen für grenzüberschreitende Migration sind.

Vorbereitung
Die Anleitenden machen sich mit einigen wesentlichen Aspekten des deutschen Asylrechts vertraut (siehe Hintergrundtext). Moderationskarten und Stifte werden bereitgelegt. Folgende Fragen werden auf Moderationskarten geschrieben oder auf eine andere Art und Weise visualisiert:
> Wer von euch kann sich vorstellen, einmal für eine längere Zeit im Ausland zu leben?
> Was wären für euch persönlich Gründe, um für eine längere Zeit in einem anderen Land zu leben?
> Was denkt ihr, warum Menschen aus ihren Ländern fliehen?
> Welche der von uns gesammelten Gründe für eine Flucht oder einen längeren Aufenthalt in einem anderen Land werden in Deutschland nicht als Asylgrund anerkannt?
Die fünf Kategorien von Fluchtursachen werden visualisiert.
> Krieg und Gewalt
> Perspektivlosigkeit und Armut
> Diskriminierung und Verfolgung
> Rohstoffhandel und Landraub
> Umweltzerstörung und Klimawandel

Durchführung
1. Austausch über persönliche Reisemotivationen (10’)
Die TN stellen sich in einem Kreis auf. Die Anleitenden legen die Moderationskarte mit der ersten Frage in die Mitte und stellen die Frage an die TN: „Wer von euch kann sich vorstellen, einmal für eine längere Zeit im Ausland zu leben?“ Die TN werden aufgefordert, einen Schritt nach vorne zu machen, wenn sie die Frage für sich mit „ja“ beantworten. Anschließend wird die zweite Frage gestellt und in die Mitte gelegt: „Was wären für euch persönlich Gründe, für eine längere Zeit in einem anderen Land zu leben?“ Die Antworten der TN werden auf Moderationskarten gesammelt und ebenfalls in die Mitte gelegt.

2. Einordnung der eigenen Privilegien im globalen Kontext (5’)
Anschließend wird folgende Schätzfrage gestellt: „Schätzt bitte einmal, in wie viele Länder können deutsche Staatsbürger_innen visafrei einreisen?“ Die TN positionieren sich dazu auf einer Skala von 0-200 Länder.
Antwort: Deutsche Staatsangehörige dürfen in 177 Länder visafrei einreisen und genießen damit die weltweit größte Reisefreiheit. Afghanische Staatsbürger stellen dagegen mit 25 visumsfreien Ländern das Schlusslicht dieser Statistik. (Der zweite Teil der Antwort kann auch mit einer weiteren Schätzfrage erfragt werden: „Nun schätzt bitte mal, in wie viele Länder können afghanische Staatsbürger_innen visafrei einreisen?“)

3. Sammeln von unterschiedlichen Fluchtgründen (10’)
Neben die bereits liegenden Karten mit den Antworten aus der ersten Runde wird wieder für alle sichtbar eine Karte mit der dritten Frage gelegt: „Was denkt ihr, warum Menschen aus ihren Ländern fliehen?“ Die TN sammeln mögliche Gründe, die Anleitenden sammeln die Antworten auf Moderationskarten.
Anschließend werden die fünf Kategorien von Fluchtursachen vorgestellt (vgl. dazu die Broschüre: „Warum Menschen fliehen“) und die TN ordnen die von Ihnen genannten Fluchtgründe den Kategorien zu:
> Krieg und Gewalt
> Perspektivlosigkeit und Armut
> Diskriminierung und Verfolgung
> Rohstoffhandel und Landraub
> Umweltzerstörung und Klimawandel

4. Abgleich mit dem Asylgesetz (10’)
Nun wird die letzte Frage gestellt und in der Mitte visualisiert: „Welche der von uns gesammelten Gründe für eine Flucht oder einen längeren Aufenthalt in einem anderen Land werden in Deutschland nicht als Asylgrund anerkannt?“ Die TN legen die Fluchtgründe bzw. Kategorien von Fluchtgründen zur Seite, die nicht als Asylgrund anerkannt sind. Ggf. kann eine Kategorie gebildet werden für Fluchtgründe, bei denen die Gruppe uneinig ist. Die Anleitenden ergänzen. Übrig bleibt nur eine einzige Kategorie: Diskriminierung und Verfolgung. Diese kann noch um die gesetzlich ausformulierten Unterkategorien (siehe Hintergrundtext) ergänzt werden. Die Anleitenden machen noch einmal deutlich, dass für alle anderen Fälle das Asylrecht (nach Genfer Flüchtlingskonvention) nicht greift. Als Beleg wird ein Zitat aus dem Asylverfahrensgesetz vorgelesen und/oder visualisiert: „Ein Asylantrag ist insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.“ (Asylgesetz, § 30 Abs. 2)

Auswertung
Abschließend erfolgt eine gemeinsame Auswertung anhand folgender Fragen:
> Wie bewertet ihr das Ergebnis dieser Sammlung? Was war neu für euch/hat euch überrascht?
> Gibt es von euch genannte Fluchtgründe, die eurer Meinung nach als Asylgründe anerkannt werden sollten?
> Wie erklärt ihr euch, dass die Möglichkeiten, in andere Länder zu reisen, für verschiedene Menschen so stark voneinander abweichen? Was denkt ihr darüber?

Hinweis
Die Methode wurde im Rahmen des rassismuskritischen Stadtrundgangs in Frankfurt am Main konzipiert und von uns leicht verändert übernommen. Wir danken dem Bildungskollektiv Bleiberecht für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.