Mutig, motzig, mütterlich

Ein Rollenspiel zur Bedeutung von Persönlichkeitsanteilen für gesellschaftlichen Wandel

In einem ersten Schritt werden verschiedene Charaktereigenschaften erarbeitet, die Personen in sich vereinen, die sowohl förderlich als auch hinderlich für einen gesellschaftlichen Wandel hin zu einer Postwachstumsgesellschaft sein können. In einem zweiten Schritt treten diese in Form eines Rollenspiels miteinander in Kontakt und beschreiben ihre Haltung zu Postwachstum. Es werden innere Prozesse, die sowohl für einen gesellschaftlichen als auch für einen persönlichen Wandel relevant sind, deutlich gemacht und reflektiert.

Hintergrund
Jede und jeder von uns hat alle möglichen Charaktereigenschaften und innere Anteile in sich, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Je nachdem, welche Anteile in unserer bisherigen Biografie in welcher Form gefüttert/bestärkt wurden, sind einige Anteile dominanter als andere. Um einen gesellschaftlichen Wandel zu unterstützen, ist es wichtig, alle emotionalen Anteile, die in uns und in der Gesellschaft vorhanden sind, zu berücksichtigen und einzubeziehen. Gesellschaftlicher Wandel vollzieht sich nicht (nur) im Kopf, denn das Wissen zur Veränderung besteht schon bei vielen. Es gibt aber eine Lücke zwischen dem Wissen und dem sich daraus
ableitenden Handeln. Die Übung hilft, diese Lücke zu erfahren und zu reflektieren.

Vorbereitung
Im Raum wird an einer geeigneten Stelle eine Bühne vorbereitet, die z. B. mit Kreppband klar abgegrenzt ist.

Durchführung
1. Einführung (5’)
Die Anleitenden machen deutlich, dass es sich um eine spielerische Annäherung an psychodynamische Prozesse handelt, also um innere Veränderungsprozesse. Wichtig dabei ist, dass die Möglichkeiten und Schwierigkeiten dieser Prozesse erlebbar werden und nicht nur darüber gesprochen wird. Deshalb wird in diesem Abschnitt Körperarbeit in Form von
theaterpädagogischen Methoden eingesetzt. Es gibt kein Richtig oder Falsch, sondern es geht um das Erspüren von unterschiedlichen inneren Anteilen, die in unserer Gesellschaft und in den einzelnen Menschen vertreten sind. Jede_r TN wird eingeladen, sich auch auf herausfordernde Momente einzulassen und gleichzeitig eigene Grenzen zu wahren.

2. Aufwärmübungen (30’)
Die Anleitenden bereiten die Gruppe mit theaterpädagogischen Aufwärmübungen etwa 30 Minuten lang auf eine spätere Improvisation vor. Der Fokus liegt auf Fehlerfreundlichkeit und einem vertrauensvollen Miteinander, das anregt, mehr zu spielen und zu improvisieren. Aufwärmübungen können hier gefunden werden: http://improwiki.com/de/wiki/
improtheater/special/category/28/ubungen.

3. Einzelarbeit: Liste mit Charaktereigenschaften erstellen (15’)
Zunächst werden alle TN aufgefordert, in Einzelarbeit acht bis zehn Personen des öffentlichen Lebens auszuwählen, die sie mit starken Charaktereigenschaften assoziieren. Dabei ist es wichtig, dass diese Personen möglichst allen in der Runde bekannt sind. Dabei soll auf eine Ausgewogenheit von beliebten und unbeliebten Eigenschaften geachtet werden. Die Charaktereigenschaften können gesellschaftlichen Normen widersprechen. Zusätzlich zu den Adjektiven erfolgt eine Bewertung der Adjektive (positiv/negativ). Anhand eines Beispiels wird die Aufgabe durch die Anleitenden demonstriert (z. B. Angela Merkel, mütterlich, positiv oder Angela Merkel, mütterlich, negativ oder Angela Merkel, aggressiv, negativ oder Angela Merkel, durchsetzungsfähig, positiv).
Jede_r TN schreibt nach diesem Schema seine/ihre Liste (Name, Eigenschaft, Bewertung) für sich auf ein Blatt Papier. Es wird später nicht veröffentlicht.

4. Rollenspiel (20’)
Nach der Einzelarbeit kommen die TN in einem Kreis zusammen. Dort wird die vorbereitete Bühne vorgestellt und das „Bühnensetting“ für das folgende Spiel erläutert: Verschiedene Charaktere lernen sich auf einer Cocktailparty kennen, während diese Dynamik von den Nicht-Spieler_innen beobachtet wird. Eine freiwillige Person liest ihre Liste vor und sucht
sich sechs Charaktereigenschaften aus, die sie gerne auf der Bühne in Interaktion sehen möchte, wobei auf ein Gleichgewicht zwischen positiv und negativ bewerteten Eigenschaften geachtet wird. Es werden Freiwillige aus der Gruppe erfragt, die jeweils eine Charaktereigenschaft (z. B. mütterlich) auf der Bühne spielen möchten.

Die zukünftigen Spieler_innen nutzen die Personen (z. B. Angela Merkel), um besser in ihre Rolle und in die Improvisation zu finden, beispielsweise durch deren Körperhaltung oder Sprachduktus. Die Spieler_innen können vor der Übernahme der Rollen Rückfragen an die Person stellen, deren Liste als Grundlage dient. Dies ist besonders dann von Vorteil, wenn die Spieler_innen die Personen nicht gut kennen. Falls vorhanden, können noch kleine Requisiten hinzugezogen werden. Die Spieler_innen kleben sich einen Zettel mit den von ihnen gespielten Charaktereigenschaften auf die Brust, um diese für die Beobachter_innen sichtbar zu machen.

Die Anleitenden erklären den Spielverlauf: Das Publikum eröffnet mit dem gemeinsamen Zuruf: „Drei, zwei, eins, los“ das Spiel. Die Spieler_innen kommen daraufhin nach und nach auf die Bühne und werden damit zu ihren Charakteren. Es entsteht eine Begegnung von Personen auf einer Party, auf der sie sich gegenseitig kennenlernen. Nach einigen Minuten gibt es ein akustisches Signal („Stopp“-Ruf und Klatschen), woraufhin alle Spieler_innen bewegungslos in ihrer Position verharren. In der Theaterpädagogik wird das Freeze genannt, also ein sofortiges
Einfrieren.

Das Spiel beginnt, das Publikum verfolgt die Interaktionen. Entsteht für die Zuschauer_innen aufgrund von parallelen Gesprächen ein unübersichtlicher Spielverlauf, können die Anleitenden mit „Stopp“-Rufen die Szene unterbrechen und die Anweisung einbringen, dass einzelne Parteien vorübergehend in ihren Positionen verharren. Gespräche können somit nacheinander geführt werden. Die Spieler_innen führen die Szene mit der Aufforderung „Und weiter!“ fort.

Nach etwa drei bis fünf Minuten des Spiels, je nach Aktivität der Spieler_innen und Spannungsverlauf, werden alle Spieler_innen durch einen „Stopp“-Ruf aufgefordert, innezuhalten. Es wird ein neuer Auftrag erteilt: „Tauscht euch nun darüber aus, ob bzw. unter welchen Umständen ihr – aus der Sicht eurer Charakterrolle – einen gesellschaftlichen Wandel
hin zu einer Postwachstumsgesellschaft umsetzen möchtet. Wenn ihr eure Stellungnahme oder eure Gespräche danach beendet habt, geht von der Bühne. Das Spiel ist beendet, wenn die Bühne leer ist oder ihr ein Signal bekommt.“ Nach einem weiteren akustischen Signal (Klatschen und „Und weiter!“) wird das Spiel fortgesetzt.

Nach spätestens fünf Minuten wird das Spiel von der Moderation mit Unterstützung des Publikums mit einem Signal beendet. Die Spieler_innen verlassen daraufhin die Bühne und verteilen sich im Raum. Die Personen des Publikums verteilen sich auf die Spieler_innen und klopfen deren Körper ab, um sie aus ihren Rollen zu entlassen. Nun sind die Spieler_innen wieder sie selbst. Zur Auswertung kommen alle in einen Stuhlkreis zusammen.

Auswertung
Zunächst werden die Spieler_innen nach ihren Eindrücken gefragt:
> Wie ist es euch beim Spielen ergangen?
> Mit welchen anderen Charakteren warst du im Gespräch? Wie war das?
> Welche Besonderheiten sind beim Spiel entstanden?

Dann äußern sich die Beobachter_innen:
> Was habt ihr beobachtet?
> Was hat eure Aufmerksamkeit besonders erregt?

Auswertung mit allen:
> Welche Ideen, Gedanken oder Erkenntnisse habt ihr in Bezug auf einen gesellschaftlichen Wandel gewonnen?
>    Was hat euch bei euren bisherigen persönlichen Wandlungsprozessen geholfen?
>    Denken wir an eine Postwachstumsgesellschaft: Welche Aspekte könnten wir für zukünftige Überlegungen berücksichtigen?