Stimmen aus dem Süden

Ein Gruppenpuzzle zu wachstumskritischen Positionen

Mithilfe von kurzen Texten und Interviews lernen die Teilnehmer_innen kritische Stimmen zu Wirtschaftswachstum aus dem Globalen Süden kennen. Sie setzen sich dabei mit dem Zusammenhang von Wachstum, Armutsbekämpfung und Entwicklung auseinander und arbeiten in Kleingruppen die Argumente der Autor_innen und Interviewpartner_innen für eine abschließende Diskussion in neu gemischten Kleingruppen heraus.

In dieser Methode setzen sich die Teilnehmer_innen mit verschiedenen Kritiken an und alternativen Vorstellungen zu Wirtschaftswachstum als Entwicklungsmodell auseinander und tauschen sich darüber aus. Der Fokus liegt dabei auf den sonst häufig wenig beachteten Stimmen und Positionen aus dem Globalen Süden selbst. Dazu kommen Mitarbeiter_innen von entwicklungspolitischen NGOs, Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen aus Ländern des Südens zu Wort, die ihre Perspektive auf Entwicklung und Wachstum darstellen und Alternativen zum westlichen Wachstumspfad und Wohlstandsmodell formulieren.

Arbeitsmaterial zum Download:
+Bangladesch_Was ist Wachstum und wem dient es ;
+El Buen Vivir_Gutes Leben als Chance
+Indien_Wir muessen zurueck zur Wirtschaft der realen Welt
+Indien_ Wirtschaftswachstum um jeden Preis
+Interview Karma Ura Bhutan INKOTA
+Kenia_Wie kann Wachstum Armut lindern

Hintergrund

Die Regierungen der Welt haben sich im Jahr 2000 auf die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) geeinigt. Das erste und oberste Ziel ist die Halbierung der Zahl der Menschen, die in absoluter Armut (also mit weniger als 1 Dollar pro Tag) leben. Als zentrale Strategie, um Armut zu bekämpfen und zur sogenannten Entwicklung eines Landes beizutragen, gilt Wirtschaftswachstum. Wenn der Kuchen wächst, so die Annahme, kriegen alle mehr davon ab. Diese sogenannte Trickle-down-Theorie (engl. trickle für „sickern“) geht davon aus, dass Wirtschaftswachstum zu steigendem materiellen Wohlstand in einem Land führt und dieser durch neue Arbeitsplätze usw. schließlich auch bei den armen Bevölkerungsschichten ankommt. Wirtschaftswachstum in den Ländern des Globalen Südens ist dabei stark abhängig von einem starken Wachstum der Weltwirtschaft, um Absatzmöglichkeiten für das Mehr an Produkten und Dienstleistungen zu schaffen und die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Doch Wirtschaftswachstum als Entwicklungsweg führt auch zu vehementer Kritik. So wird unter anderem angeprangert, dass nur ein sehr geringer Prozentsatz der Wohlstandssteigerung tatsächlich bei den ärmsten Menschen eines Landes ankomme: Die Investitionen gehen immer dorthin, wo der Nutzen für die sozial Schwächeren am geringsten sei. Dies sei vor allem durch die globalisierte Marktwirtschaft zu einem Problem geworden. Kritiker_innen bespötteln die Idee des Trickle-down-Effekts als sogenanntes „Pferdeäpfel-Theorem“: „Wenn man einem Pferd genug Hafer gibt, wird hinten auch etwas herauskommen, um die Spatzen zu füttern.“ Zugleich verstärke Wirtschaftswachstum, so die Kritik, die ohnehin weit geöffnete Schere zwischen Arm und Reich und führe damit zu stärkerer Ungleichheit. Da darüber hinaus Wachstum stets mit dem Verbrauch natürlicher Ressourcen und der Belastung der Umwelt und insbesondere des Klimas verbunden ist, sei Wachstum als Weg zur Armutsbekämpfung ineffizient und nicht nachhaltig.

Vorbereitung

Die Texte werden in ausreichender Anzahl ausgedruckt.

Durchführung

1. Einstieg ins Thema in der Großgruppe

Im ersten Schritt kann per Zurufabfrage und Visualisierung auf einem Flipchart mit den TN gesammelt werden, welche Zusammenhänge sie zwischen Wachstum, Entwicklung und Armutsbekämpfung sehen. Dabei kann eine Arbeitsdefinition von Wachstum, Entwicklung und Armut herausgearbeitet werden. An dieser Stelle ist es wichtig, den Entwicklungsbegriff in Bezug auf seine Verbindung mit kolonialen Denkstrukturen zu hinterfragen und zu thematisieren, dass er eine Wertung von Gesellschaftsmodellen als „besser“ oder „schlechter“ beinhaltet (Hintergrundinformationen dazu finden sich unter Tipps für Teamer_innen).

2. Texte lesen

Die TN werden je nach Gruppengröße in Kleingruppen eingeteilt und jede Kleingruppe erhält einen Text. Dieser wird zunächst gelesen. In der Kleingruppe können Verständnisfragen geklärt werden. Anschließend setzen sich die TN mit folgenden Fragen auseinander:

  • Welche Position in Bezug auf Wirtschaftswachstum wird hier formuliert? Wie wird die Position begründet?
  • Welche Vorstellung von „Entwicklung“ wird skizziert?
  • Welche Alternativen zu Wachstum werden als Entwicklungsweg genannt?

Die Teilnehmenden notieren sich die Ergebnisse der Diskussion in Stichpunkten, um sie in der zweiten Phase des Gruppenpuzzles anderen TN kurz vorstellen zu können.

3. Austausch im Gruppenpuzzle

Nun werden die Kleingruppen neu gemischt, so dass jede der vorgestellten „Stimmen aus dem Süden“ in jeder neuen Kleingruppe vertreten ist. In den neuen Kleingruppen geben nun alle den anderen Teilnehmenden einen kurzen Einblick in die Position, mit der sie sich beschäftigt haben. Dabei geht es darum, die wichtigsten Informationen und Argumente aus ihrem Text und die Diskussion in der vorherigen Kleingruppe kurz zusammenzufassen. Dann werden die verschiedenen Positionen miteinander verglichen:

  • Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den Positionen aus den unterschiedlichen Ländern?
  • Wie erklärt ihr euch diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten?

Auswertung

Nach der Kleingruppenphase kommen alle Teilnehmenden wieder in der großen Gruppe zusammen. Hier können zentrale Diskussionspunkte oder offene Fragen aus der Kleingruppe nochmal aufgegriffen werden. Dann findet die abschließende Diskussion statt. Dafür können die folgenden Diskussionsfragen genutzt werden:

  • Ist Wirtschaftswachstum ein geeigneter Weg, um Armut zu reduzieren?
  • Welche Alternativen zu Wachstum gibt es?
  • Wenn die Länder des Südens in selbstgewählten Bereichen weiter wachsen wollen, wir aber auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen und der Bedrohung des Klimawandels leben, was bedeutet das für Länder wie Deutschland?

Die verwendeten Texte stammen aus dem INKOTA-Dossier 11 (http://www.inkota.de/material/suedlink-inkota-brief/159-alternativen-zum-wachstum ), der Broschüre „Darf’s ein bisschen mehr sein? “ von eed/Brot für die Welt (https://www.brot-fuer-die-welt.de/shop/Kampagnen/Zukunft-fair-teilen/Broschuere–Darf-s-ein-bisschen-mehr-sein–.html ) und dem Magazin forum Nachhaltig Wirtschaften, Ausgabe 2/2010 (www.forum-csr.net; www.eco-world.de). Wir bedanken uns für die freundlichen Genehmigungen zur Nutzung im Rahmen dieses Methodenhefts!

Varianten

Zur Vertiefung der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Positionen und Ländern kann eine Internetrecherche an die erste Kleingruppenphase angeschlossen werden. Die TN werden aufgefordert, weitere Informationen über den Text hinaus einzuholen: zum Wirtschaftswachstum in dem jeweiligen Land, zum Autor/ zur Autorin des Textes bzw. der Interviewpartnerin/ des Interviewpartners, über die jeweilige Organisation bzw. andere kritische Organisationen im Land etc.

In diesem Fall ist es aber ratsam, als Teamende vorher geeignete Links zu recherchieren, die den Teilnehmenden bei Bedarf als Hilfestellung für ihre Suche dienen.

Tipps für Teamer_innen

Es ist wichtig, bei der Ankündigung der Texte darauf hinzuweisen, dass es sich hier um eine bestimmte AUSWAHL von Positionen handelt, die für die einzelnen Länder nicht repräsentativ sind. Natürlich gibt es auch eine Vielzahl anderer Positionen und auch Wachstumsbefürworter_innen in den jeweiligen Regionen. Hier liegt der Fokus auf den Wachstumskritiker_innen, weil diese sonst im Globalen Norden weniger Gehör finden.

Da in dieser Methode auch Entwicklungsverständnisse thematisiert werden, ist es wichtig, sich im Vorfeld mit der Kritik am Entwicklungsbegriff zu beschäftigen. Wir empfehlen folgende Texte zum Einstieg: Daniel Bendix: Entwicklung/entwickeln/Entwicklungshilfe/Entwicklungspolitik/Entwicklungsland. In: Arndt, Susan & Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.) 2011: Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster, 272-278 (online unter www.glokal.org/?edmc=433); Aram Ziai: Was ändert`s? Entwicklungsarbeit im Wandel. In: Bundeszentrale für Politische Bildung: Fluter #94. Gutes Tun? (online unter http://www.fluter.de/de/gutes/thema/8941/); Aram Ziai: Zur Kritik des Entwicklungsdiskurses. In: Bundeszentrale für Politische Bildung: Aus Politik und Zeitgeschichte 10/2010. Entwicklung (Online unter http://www.bpb.de/apuz/32908/zur-kritik-des-entwicklungsdiskurses?p=0).

Ein weiterer Hinweis: Bhutan wird mit dem Ansatz des Bruttoinlandglücks in den Medien oft als ein Vorzeige-Beispiel für nachhaltige Politik angeführt. Wir möchten darauf hinweisen, dass Bhutans Flüchtlingspolitik und Demokratiedefizite gleichzeitig auch in der Kritik stehen, mehr dazu z.B. im Artikel: „Kein Königsweg zur Aussöhnung“ in der Zeitschrift IZ3W Nr. 341 (online unter: https://www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/341_asyl/bhutan).