Vom Fischer und seiner Frau

Märchenreflexion zu den mentalen Infrastrukturen des Wachstums

Anhand des Märchens der Gebrüder Grimm „Vom Fischer und seiner Frau“ setzen sich die Teilnehmer_innen mit verinnerlichtem Wachstumsdenken auseinander. Sie übertragen die Symboliken des Märchens in den heutigen Kontext und tauschen sich dazu aus. In der Auswertung wird auf das Modell des Wirtschaftswachstums als „mentale Infrastruktur“ des Sozialpsychologen Harald Welzer eingegangen.

Arbeitsmaterial zum Download:

+Vom Fischer und seiner Frau_Text

Hintergrund

Bei der Auseinandersetzung mit Wachstum(-skritik) stehen in der Regel politische und wirtschaftliche Aspekte im Fokus. Der Sozialpsychologe Harald Welzer argumentiert, dass der Wachstumsdrang nicht nur in Ministerien, Börsen und Konzernzentralen, sondern auch ganz zentral in den Köpfen der Menschen herrsche. Der Wunsch nach Neuem, Besserem, Größerem ist allgegenwärtig. Vom neusten Smartphone über die Urlaubsreise in die Karibik bis hin zur Karriereplanung: Das Verlangen nach Wachstum ist laut Welzer in den Wünschen, Hoffnungen und Werten und damit in unserer inneren Lebenswelt verankert. Welzer bezeichnet dies als mentale Infrastruktur.

Wie weit die Ursprünge dieser mentalen Infrastrukturen zurückreichen, das zeigt auch das Märchen der Gebrüder Grimm „Vom Fischer und seiner Frau“. Die Erzählung macht deutlich, wie sehr der unersättliche Wunsch nach etwas Größerem, Neuem und vermeintlich Besserem schließlich in das genaue Gegenteil umschlagen kann. An dieser Stelle dient die Geschichte als Anknüpfungspunkt für die Auseinandersetzung mit der mentalen Infrastruktur des Wachstums in unseren Köpfen.

Durchführung

1. Der/die Teamende leitet die Methode mit einem kurzen Input zum Modell der mentalen Infrastruktur ein. In diesem Zusammenhang kann auch der erste Absatz aus ‚Hintergrund‘ (siehe oben) vorgelesen werden.

2. Der/die Teamende lädt die TN ein, es sich bequem zu machen und liest die Geschichte „Vom Fischer und seiner Frau“ vor.

3. Anschließend werden die TN gebeten sich in Gruppen á vier Personen zusammen zu finden.

4. Die Gruppen haben nun 20 Minuten Zeit, sich zu folgender Frage auszutauschen: „Wofür könnten der Fischer, die Frau, die See und der Butt in der heutigen Zeit stehen?“ Die Ergebnisse sollen auf Flipchart festgehalten werden.

5. Im Anschluss kommen die Gruppen wieder im Plenum zusammen und stellen ihre Ergebnisse nacheinander vor.

6. Abschließend wird im Plenum über die verschiedenen und gemeinsamen Interpretationen und das Modell von Harald Welzer diskutiert.

Mögliche Impulsfragen:

  • Harald Welzer spricht von Wachstum als einer mentalen Infrastruktur, die Einzug in unsere Seelen gehalten hat. Inwieweit könnt ihr das auf eure Interpretationen beziehen?

  • Teilt ihr die Annahme, dass der Drang nach immer Neuem, Größerem und Besserem ein Wesenszug des Menschen ist – woran macht ihr das fest?

  • Welche Situationen fallen euch ein, in denen ihr das „immer mehr“ bei euch feststellt?

  • Was denkt ihr, macht ein „immer mehr“ die Menschen glücklicher?

  • In welchen Momenten sind Menschen eurer Erfahrung nach besonders egoistisch bzw. solidarisch?

  • Welche Schritte sind möglich, um die von Welzer beschriebenen mentalen Infrastrukturen zu verändern?

Varianten

Das Märchen ist auch online als Audio-Version verfügbar und kann direkt angehört werden, anstatt es vorzulesen zu lassen: <http://www.labbe.de/lesekorb/index.asp?themakatid=11&themaid=109&titelid=1152> (auf „Geschichte hören“ über der Überschrift klicken).

Anstelle einer Flipchartpräsentation können die Eregbnisse der Diskussion auch als Theaterszene dargestellt werden. Hierfür sollten ca. 20-30 Minuten mehr eingeplant werden.

Tipps für Teamer_innen

Das Märchen und die dargestellten Figuren mit ihren zugeschriebenen Rollen (insbesondere der Mann und die Frau) sollten im Kontext der Entstehungszeit begriffen und ggf. thematisiert werden.

In dem Märchen geht es nicht explizit um das Thema Wirtschaftswachstum, sondern vor allem um die fehlende Beziehungsqualität zwischen dem Fischer und seiner Frau. Die verlagerte Glückssuche in Form des Anhäufens von materiellen Dingen resultiert jedoch aus dieser Gegebenheit. Diese systemische Verlagerung sollte bei der Auswertung berücksichtigt werden.

Als Vorbereitung zu den Mentalen Infrastrukturen eignet sich der Text „Die Mentalen Infrastrukturen. Wie das Wachstum in die Welt und die Seelen kam“ <https://www.boell.de/sites/default/files/Endf_Mentale_Infrastrukturen.pdf>

Möglichkeiten zur Weiterarbeit

Für Gruppen, die das Arbeiten mit wissenschaftlichen Texten gewöhnt sind, kann direkt mit dem Essay von Harald Welzer (siehe Tipps für Teamer_innen) gearbeitet werden.